Konklusion einer Induktion ohne Angabe des Wahrheitswertes ist problematisch

Hin und wieder kommt es vor, dass in Gutachten Beweise nicht oder falsch geführt werden. Die Konsequenzen sind erheblich.

Häufig wird in derartig mangelhaften Gutachten bei induktiver Beweisführung der Wahrheitswert der Prämissen entweder nicht ausgewiesen und/oder in den Konklusionen nicht ausgewiesen.

Das ist ein erheblicher Mangel, der das Gutachten diesbezüglich oder vollständig entwerten kann. Vollständig dann, wenn die Leser diesen Mangel als Indiz für ein grundsätzliches Unvermögen bei der Beweisführung zu Lasten des Gutachters werten. Abgesehen davon lässt sich aus Schwächen bei der Beweisführung aber nicht unbedingt auf fachliche Inkompetenz schließen.

Relevant ist jedoch, dass bei unvollständiger Beweisführung bei der Mehrheit der Leser der falsche Eindruck entstehen kann, die Beweisführung des Gutachters sei sicher.

Korrektes Beispiel einer enumerischen Induktion von Wilholt [1] (Skript von 2005):

„90 % aller Regenvorhersagen für Bielefeld von Radio Wetterfrosch treffen zu.
Für morgen hat Radio Wetterfrosch für Bielefeld Regen vorhergesagt.
–––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
Morgen wird es in Bielefeld regnen.“

Bei dieser Darstellung sollte klar sein, dass die Konklusion „Morgen wird es in Bielefeld regnen.“ die Eigenschaft „mit einer Wahrscheinlichkeit von 90 %“ hat.

Für die weniger mit den Feinheiten der Induktion vertrauten Leser verringert folgende Ergänzung das Risiko eines Missverständnisses bzw. einer Fehlinterpretation:

90 % aller Regenvorhersagen für Bielefeld von Radio Wetterfrosch treffen zu.
Für morgen hat Radio Wetterfrosch für Bielefeld Regen vorhergesagt.
–––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
Mit einer Wahrscheinlichkeit von 90 % wird es in Bielefeld morgen regnen.

Aussagen, die auf statistischen Untersuchungen beruhen, sind wegen Unvollständigkeit falsch, wenn ihr Wahrheitswert nicht angegeben wird.

In Expertise-Kontexten muss man unbedingt auf solche induktiven Schritte und das notwendigerweise damit verbundene Irrtumsrisiko ausdrücklich aufmerksam machen.
Wilholt [2]

In manchen Fällen geben sogar schon Richter ihren Gutachtern auf,  sie mögen bei ihren Feststellungen den Wahrheitswert ihrer Konklusionen (wenigstens subjektiv) einschätzen.

Ein Indiz für bisherige Schwächen in der Logik bei einigen Beweisführungen in Gerichtsgutachten.

Fazit für anspruchsvolle Beweisführung in Gutachten:

In Gutachten sind die Argumentationen gültig bzw. korrekt und prüffähig darzustellen. Die Wahrheitswerte der Konklusionen sind anzugeben oder wenigstens zu schätzen. Auf das mit der Argumentation verbundene Irrtumsrisiko ist ausdrücklich hinzuweisen.


[1] Prof. Dr. Torsten Wilholt, Auszug aus einem Vorlesungsskript von 2005 „17. Formen logischer Argumente“
(nicht mehr online verfügbar)

[2] Prof. Dr. Torsten Wilholt, persönliche Mitteilung an U. Halbach im Rahmen einer Konsultation am 13.08.2012

[3] Prof. Dr. Torsten Wilholt, Logik und Argumentation, Materialien zu einführenden Vorlesungen über formale Logik und Argumentationstheorie,
Institut für Philosophie, Leibniz Universität Hannover, 2005, 2013 überarbeitet

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