Bei dieser Vorsorge geht es nicht um natürliche menschliche Verhaltensweisen, wie z. B. derart, dass man sich warm anzieht, wenn es draußen kalt ist. Im Blickpunkt steht die Veränderung der Gesellschaft durch Vorsorgediktatur mit all ihren destruktiven Folgen, betrachtet am Beispiel des vorsorglichen Gewässerschutzes. Zu den zahlreichen Nachteilen des Vorsorgeprinzips haben sich schon viele Autoren nachvollziehbar ausgelassen, ohne dass es etwas genützt hat. Einige interessante Quellen
Bei fehlenden Effizienznachweisen für gewünschte zusätzliche Verbesserungen des Gewässerschutzes ist es üblich (manchmal vielleicht auch weil bequem) die behördlich verschärften Anforderungen an das Betreiben von technischen Anlagen mit dem fragwürdigen Vorsorgeprinzip zu begründen. Das ist sehr einfach, anspruchslos und zugleich im doppelten Sinne verantwortungslos. Man erklärt nur seine Ängste und Sorgen. Jemand der Angst hat und dies auch noch schriftlich darlegt, ist seine Verantwortung los. Das Vorsorgeprinzip in seiner ideologischen Nutzung negiert den technischen Fortschritt und die Lebensgefährlichkeit. Das Denken und Handeln übertragen die Bürger dem Staat. In der „wasserwirtschaftlichen“ Praxis verursacht die Anwendung des Vorsorgeprinzips im wesentlichen erhebliche Mehrkosten beim Gewässerschutz wobei wohl ganz selten ein Effizienznachweis vorliegt. Auch werden preiswerte Lösungen bei der Gewässernutzung oder bei der Abwasserbehandlung vorsorglich verhindert. Dahinter stecken neben Ängsten teilweise auch Industrieinteressen. Im vergangenen Jahr ist mir ein krasses Beispiel der Anwendung eines Vorsorgeprinzips aufgefallen, bei dem die Hygiene das Einleiten des Regenwassers von Dachflächen mit der Begründung untersagte, dass ja in den Dachrinnen (immer) tote Vögel liegen, die die Badewasserqualität verschlechtern könnten. Konsequenz dieses hygienischen Schildbürgerstreiches: Mehrkosten für einen Unternehmer, der den Streit am Ende genervt aufgab. Der Hygiene möchte man zurufen: „Und was ist mit den toten Vögeln, die beim Überfliegen des Badesees plötzlich sterben und ins Wasser fallen oder mit dem Fuchs, der am Ufer der Badestelle stirbt oder trinkt oder mit den Badegästen, die fleißig ins Wasser pullern, von denen einer ein Dauerausscheider von Cholera ist und mit der Schwimmerin, die nicht vorsorglich den Mund geschlossen hält oder mit den Elbe-Badetagen? Ist die Elbe oder die Natur an sich etwa steril?“ (Da frage ich mich wieder, ob ich so etwas schreiben darf und soll? Wenn’s aber stimmt! Vielleicht sollte man aber gerade dann den Mund halten, wenn man Recht hat?)
Tatsache ist, dass wir unseren hohen Lebensstandard (nicht nur in Deutschland) und viele Freuden ausschließlich der vorsätzlichen Missachtung des Vorsorgeprinzips verdanken. Darüber lohnt es sich bei Uneinsichtigkeit schon lange nachzudenken, wem das nicht auf Anhieb auffallen sollte. Man mag darüber nachdenken, ob es den verehrten Leser überhaupt geben würde, wenn das administrative Vorsorgeprinzip in der heutigen Form schon seit 500 Jahren die Menschen in Ketten legen würde. Die Völkerschlacht bei Leipzig z. B. wäre garantiert ausgefallen. Vorsorglich hätten damals alle erst mal aus ihren Häusern geschaut, was da draußen so passiert. Und es lebten vielleicht nur 10 % der Menschen in Deutschland – die anderen 90 % wären verhungert oder hätten gar nicht erst geboren werden können – wenn es Deutschland überhaupt noch geben würde. Einfach deshalb, weil die Wissenschaftler Haber und Bosch ihre Synthese vorsorglich nicht hätten erfinden dürfen und so weiter und sofort. Fragwürdig ist das Vorsorgeprinzip bei exzessiver Anwendung, wie es in den letzten 20 Jahren zunehmend zu beobachten ist. Vielleicht ist diese negative Entwicklung auch Ausdruck der Überalterung, Trägheit und mangelhaften Schulbildung der Gesellschaft.
Ist die exzessive Nutzung des Vorsorgeprinzips etwa ein starkes Indiz für mangelhafte Ausbildung sowie für fehlende Sach- und Fachkunde?
Kaum jemand stört sich daran, dass bei der Anwendung des Vorsorgeprinzips regelmäßig gegen die Leitlinien der EU-Kommission zur Anwendung des Vorsorgeprinzips [1] und sogar gegen die EU-WRRL verstoßen wird. Beweis: Beide Leit- bzw- Richtlinien fordern Effizienznachweise bevor das Vorsorgeprinzip angewendet werden darf. Dieser Fakt wurde bislang noch nicht gedeutet.
Eine Ursache solcher Fehlentwicklungen ist die Formulierung abstrakter Ziele, deren Erfüllungsweise gedeutet und meist vor Gericht erkämpft werden muss, weil die Deutungshoheit eher selten beim Abwasserbeseitigungspflichtigen liegt.
Das eigentliche Problem liegt aber tiefer. Die Verschärfung von Überwachungswerten ohne prüffähigen Effizienznachweis können in grobfahrlässiger Weise wasserwirtschaftliche Fehlinvestitionen verursachen. Damit wird gegen das Sparsamkeitsprinzip verstoßen. Möglicherweise will ein Anwalt auch staatliche Willkür beweisen.
Kostenvergleichsrechnungen und Kosten-Wirksamkeits-Analysen bzw. Nutzwert-Kosten-Analysen werden zwar verlangt und erarbeitet, aber in der Praxis viel zu spät. Kaum jemand prüft nämlich, ob schon die Verschärfung mancher wasserchemischer Anforderungen überhaupt effizient oder verhältnismäßig ist. Diese Prüfung ist ratsam, bevor Angst und Schrecken mit scharfen Forderungen in den Abwasserzweckverbänden verbreitet wird. Effizienz und Verhältnismäßigkeit sind nämlich wichtige Forderungen der EU-Wasserrahmenrichtlinie, die – so hat man den Eindruck – nicht immer beachtet werden!
Also gilt unbedingt, wenn es zusätzliches Geld oder zusätzlichen Aufwand verursacht:
Verschärfungen der Überwachungswerte oder zusätzliche Auflagen sind grundsätzlich nicht plausibel!
Es mag Ausnahmen (Trinkwasserschutz) geben, bei denen z. B. 10 % Mehrnutzen unverhältnismäßig hohe Mehrkosten durchaus rechtfertigen können. Dies wäre aber umfänglich, prüffähig zu beweisen und in einem solchen Falle vorstellbar, wenn beispielsweise giftige Wirkungen im Gewässer nur bei normalerweise unverhältnismäßig hohen Mehrkosten mit hoher Sicherheit verhindert werden können, wobei über die „Sicherheit“ gestritten werden sollte, um Denkfehler zu minimieren.
Auch wenn die EU-Kommission mitunter kritisiert wird: Auf den Leitlinien zur Anwendbarkeit des Vorsorgeprinzips sollte bestanden werden, denn danach ist die Vorsorge nur auf ganz wenige Ausnahmen beschränkt, keinesfalls aber auf Gewässerschutzmaßnahmen, deren Effekt kalkulierbar ist.
Die Menschheit ist Tausende Jahre lang ohne dieses destruktive und willkürliche Prinzip ausgekommen. Der heutige intensive missbräuchliche Einsatz des Vorsorgeprinzips raubt den Menschen einen Großteil ihrer Freude und Freiheit. Und dies auf raffinierte, destruktive, langsame und deshalb auch unauffällige Weise. Dieses Vorsorgeprinzip kann mit Sicherheit ersatzlos gestrichen werden, denn unseren hohen Lebensstandard verdanken wir paradoxerweise genau den unzähligen Verstößen gegen das Vorsorgeprinzip von Jonas [2]. Jonas, der Erfinder, der sich selbst nicht ganz sicher war und wohl aus Gewissensgründen sein Buch vorsorglich mit dem Untertitel „Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation“ versah. Und dieses Wörtchen „Versuch“ wurde bei der exzessiven Einführung des Vorsorgeprinzips in die Gesetzgebung vorsorglich unterschlagen. Heute weiß niemand mehr, dass es sich bei dem Vorsorgeprinzip nur um einen Versuch handelt, der allerdings trefflich scheiterte, was aber auch keinen stört. Auch hat sich eine Ideologie gefunden, die nachhaltig auf dem Vorsorgeprinzip von Jonas [2] beruht und es fleißig missbraucht. Bildung und Klugheit ist deshalb m. E. vorzüglicher als der Versuch mit dem Vorsorgeprinzip.
Aber es gibt auch ein sehr gutes Beispiel in der nichtvorsorglichen Genehmigungspraxis, welches uns hoffen lässt:
Einen nachvollziehbaren und zudem gut begründeten Prozess der Verschärfung der Überwachungswerte unter Einbeziehung der betroffenen Bevölkerung bis hin zur Versagung der Abwassereinleitung hat das Wasserwirtschaftsamt Hof beim Schutz der Flussperlmuschel demonstriert. Aufgrund der Kompetenz, der guten Vorbereitung und der rechtzeitig erarbeiteten wissenschaftlichen, ökologisch-ökonomischen Basis, kam man erfreulicherweise ohne „Anrufung“ des Vorsorgeprinzips aus. Wie man sieht, ist es möglich, Anforderungen im Gewässerschutz auch ohne Angst und Sorge zu begründen. Wir sollten es häufiger versuchen!
Tja, ich würde die regelmäßige Anwendung des Vorsorgeprinzips grundsätzlich verbieten, in den Gesetzestexten, in denen das Wort „Vorsorge“ oder „Besorgnis“ auftaucht, den jeweiligen Text durch „Bildung und Vernunft“ ersetzen und Vorsorge nur dann erlauben, wenn die Leitlinien zur Anwendung des Vorsorgeprinzips schön fleißig abgearbeitet wurden. Da könnten wir gewaltig Geld sparen und unsere Zukunft etwas retten. Und weil wir gerade mal dabei sind: Das Gleiche gilt für die ideologische Kategorie „Nachhaltigkeit“. Man darf staunen, was ideologische Programme in Gesetzen zu suchen haben, die auch Nichtideologen einhalten sollen. Insofern kann man „Vorsorge“ und „Nachhaltigkeit“ auch als ideologische Trojaner und Wieselwörter bezeichnen.
Siehe auch: Verhältnismäßigkeit bei Gewässerschutz
____________
[1] Leitlinien zur Anwendung des Vorsorgeprinzipsin „Die Anwendbarkeit des Vorsorgeprinzips“
Mitteilung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften
Brüssel, den 02.02.2000, KOM (2000) 1 endgültig [2] Hans Jonas
Das Prinzip Verantwortung:
Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation.
Frankfurt/M., 1979. [3] Reichholf, J.H.
Die falschen Propheten – Unsere Lust an Katastrophen
Taschenbuch
2. Auflage 2003
Wagenbach Verlag Berlin [4] Reichholf, J.H.
Der Tanz um das goldene Kalb
Der Ökokolonialismus Europas
Verlag Klaus Wagenbach Berlin
1. Auflage 2006 [5] Eilingsfeld, Heinrich
Der sanfte Wahn
Ökologismus total
Südwestdeutsche Verlagsanstalt Mannheim
(Bemerkenswert, dass das Buch schon 1989 erschien.) [6] Gärtner, Edgar L.
Öko-Nihilismus
Eine Kritik der Politischen Ökologie
TvR Medienverlag Jena, 2007 [7] Driessen, P.K.
Öko-Imperialismus
Grüne Politik mit tödlichen Folgen
TvR Medienverlag 2006 [8] Maxeiner; D., u.a.
Die Zukunft und ihre Feinde
Wie Fortschrittspessimisten unsere Gesellschaft lähmen
Eichenborn AG 2002 [9] Maxeiner; D., u.a.
Das Mephistoprinzip
Warum es besser ist, nicht gut zu sein
Eichenborn AG 2001 [10] Steinberg, Ch.
Von Mistbienen, Haussperlingen und der EU-Wasserrahmenrichtlinie – eine
beabsichtigte Polemik
Wasser & Boden
Hinterlasse einen Kommentar