Der gesunde Menschenverstand 

Der geneigte Leser vergleiche die Erfahrung des Juristen Michel de Montaigne, die er vor wenigstens 430 Jahren machte, mit der heutigen Schätzung des gesunden Menschenverstandes. Man könnte meinen, der hochverehrte Michel de Montaigne ist ein sehr kluger, untypischer Zeitgenosse. (Siehe dazu das Zitat.) 

Kann man daraus schließen, dass sich der Mensch in seinem Denken und Handeln seit Tausenden von Jahren nicht weiter entwickelt hat; von einzelnen brillanten Denkern man abgesehen? 

Ein krasser Stillstand bei der Evolution der Vernunft?

Über die Erfahrung des Michel de Montaigne

Zitat:

„Gott, wie schwer würde es mir werden, das zu ertragen, was so viele jetzt aushalten müssen: sie dürfen ein bestimmtes Gebiet unseres Reiches nicht verlassen, dürfen die wichtigsten Städte und Höfe nicht besuchen, dürfen die Verkehrswege, die doch für alle bestimmt sind, nicht benutzen, weil sie in Gegensatz geraten sind zu Gesetzen, die bei uns gelten.

Wenn die Gesetze, denen ich hier untertan bin, mir irgendwie bedrohlich schienen, würde ich sofort weggehen, dahin, wo andere gelten, irgendwohin.

In der jetzigen Zeit der inneren Spaltung verwende ich das bißchen Klugheit, das mir zur Verfügung steht, darauf, alles zu vermeiden, wodurch meine Bewegungsfreiheit eingeschränkt wird.

Überhaupt halten sich ja Gesetze nicht deshalb, weil sie gerecht sind, sondern weil es Gesetze sind. Dies ist die geheimnisvolle Begründung ihrer Gültigkeit; sie haben keine andere; rund das ist gut für sie. Gesetze werden oft von Dummköpfen geschaffen; öfter noch von Menschen, denen gleichmäßiges Abwägen zuwider ist und die deshalb in dem, was recht und billig ist, versagen; aber jedenfalls immer von Menschen, deren Schöpfungen, wie die aller Menschen, eitel und unklar sind.

Nichts anderes ist so schwer und so weitgreifend mit Fehlern belastet wie Gesetze; nirgends treten sie so regelmäßig auf. c Wer sie befolgt, weil sie gerecht sind, befolgt sie nicht recht; nicht deshalb ist er ihnen Gehorsam schuldig. …

Man soll der Natur folgen; je einfacher ich mich ihr anvertraue, um so weiser handle ich. Unwissenheit und Sorglosigkeit, ach, was bilden sie doch für ein weiches, angenehmes und zugleich gesundes Kissen zum Ausruhen für einen Menschen mit guten Anlagen!

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Ergänzungsmarkierungen von Montaigne

Quelle

Die Essais von Michel de Montaigne (28. Februar 1533,† 13. September 1592)

Reclam 1996, Universalbibliothek Nr. 8308, Kapitel: Über die Erfahrung, Seite 361

Ein Link zur interdisziplinären Vertiefung 

Vergleiche den Beitrag des deutschen Rechtswissenschaftlers Herrn Prof. Otto Depenheuer : 

[1] Depenheuer, O.:  Politik durch Zahlen, oder: Die Diktatur der Grenzwerte, Das Phänomen politischer Herrschaft durch technische Normen als Herausforderung des Rechts,  Trierer Wasserwirtschaftsrechtstag 2019 – Band 7:
Der Grenzwert im Wasserrecht, Carl Heymanns Verlag, ISBN 978-3-452-29599-6, Erscheinungstermin 21.04.2020,
1. Auflage 2020

oder, wenn man viel Zeit hat:

Wer immer noch Zweifel hat, der lese Mark Aurels Selbstbetrachtungen und vergleiche Aurels Bewertungen über seine Zeitgenossen.

Marcus Aurelius, war von 161 bis 180 römischer Kaiser und Philosoph.  

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