Übermäßiger Gewässerschutz kann gegen das Verschlechterungsverbot nach Paragraph 27 verstoßen!
In diesem Beitrag geht es um die Darstellung der Tatsache, dass der praktizierte Gewässerschutz – also in der Weise wie er offiziell verfolgt wird – keineswegs selten seine Ziele gerade dann verfehlt, wenn er wasserrechtliche Regelungen rigoros umsetzt.
Das ist komisch, ist aber so!
(„Keineswegs selten“ bedeutet, dass es natürlich auch Fälle gibt, in denen der Gewässerschutz seine Ziele erreicht.)
Die Ursache des erwähnten Paradoxon liegt in der Unmöglichkeit,
- die konkrete Natur mit abstrakten Rechtsvorschriften abzubilden. Und
- in der Unmöglichkeit, mit Rechtsvorschriften in der Natur etwas zu steuern.
Wenn etwas in der Natur mehr oder weniger genau gesteuert werden kann, dann nur in Kenntnis und Anwendung der wissenschaftlichen Ökologie.
So, und nun zu den Tatsachen. Tatsachen haben die Eigenschaft, darauf sei noch hingewiesen, dass sie für ihre Wahrheit keine Akzeptanz benötigen. Beispiel: Die Erde ist rund und dies unabhängig davon, ob der Gesetzgeber oder eine Verwaltung nun daran glaubt oder nicht! Tatsachen bedürfen für ihre Akzeptanz der Dokumentation. Und fehlt die Dokumentation oder ihre Akzeptanz, so bleiben es trotzdem Tatsachen.
Ein schönes Beispiel ist der von Reichholf dokumentierte, gutgemeinte und tatsächliche Eingriff des „Gewässerschutzes“ in die Natur der völlig nach hinten losging. In der Konsequenz kam es zu einem vorhersehbaren Massensterben von Muscheln. Hier sollte man wissen, dass Muscheln gut 100 Jahre alt werden können und als Filtrierer einen beträchtlichen Anteil an der Klarheit eines Gewässers haben können. Zahlreiche Naturfreunde lesen seit Jahren Muscheln aus Gewässern, die aus verschiedensten Gründen zeitweise trocken liegen, um sie umzusiedeln oder anschließend wieder einzusetzen. 3 Beispiele mögen ihre Bemühungen veranschaulichen:
- Alle Fische raus, die Teichmuscheln retten und das Wasser ablassen – in Darmstadt wird der Woog – ein Naturbadesee – saniert. Tanja Hofmann ist Vorsitzende des Angelvereins am Woog Darmstadt und verantwortlich für einen reibungslosen Ablauf.
- Nach Frostschäden am Auslaufturm des Andelshofer Weihers musste dessen Wasserspiegel vorübergehend stark abgesenkt werden. Die Überlinger Sportangler kümmerten sich nicht nur um gefährdete Fische, sondern sicherten auch vielen der unter Naturschutz stehenden Teichmuscheln das Überleben.
- 21 Helfer haben gestern am Morgen 700 sogenannte große Teichmuscheln am Rottachsee (Oberallgäu) vor dem Tod gerettet. Sie sammelten die Weichtiere am Ufer ein und warfen sie in tieferen Bereichen des Sees vorsichtig wieder ins Wasser.
Das ist die eine Seite der Medaille!
Die andere Seite füllt das Wasserhaushaltsgesetz mit seiner Forderung, Abwässer nach dem Stand der Technik zu behandeln. REICHHOLF kritisiert diese Forderung schon 2005:
“Ist es gerechtfertigt, den Rückgang von Großmuscheln, Libellen, Fischen und anderen Tieren der Gewässer in den Roten Listen zu beklagen, wenn eine der Hauptursachen, in unserer Zeit, die wahrscheinlich bedeutendste überhaupt, im Natur- und Umweltschutzziel des sauberen Wassers liegt? Wir können nicht all diesen Tieren die Nahrung wegnehmen und dann darüber klagen, dass sie seltener werden.“ Reichholf: Die Zukunft der Arten.
Der sogenannte Stand der Technik verursachte in einem dokumentierten Fall ein Massensterben schützenswerter Tiere im Gewässer. Auf der einen Seite begeistert sich der Naturfreund über die Rettung von 20 Muscheln, opfert seine freie Zeit und auf der anderen Seite werden beim guten Tun wasserrechtskonform 4.000 Muscheln/100 m²(!) getötet.
Aus dem Kapitel 3, ab Seite 47 des Buches von REICHHOLF
Reichholf, J.H., Die Zukunft der Arten.
Neue ökologische Überraschungen
Taschenbuch, erschienen März 2005
München C.H. Beck Verlag
folgt, dass übermäßiger Gewässerschutz zur dramatischen Verschlechterung der Bedingungen in den Ökosystemen für Mauersegler und Großmuscheln führte. Aber lesen Sie selbst:
Zum Verständnis des Diagramms 10 von REICHHOLF:
-
1968-1973 wurden je 100 m² noch 4.000 Großmuscheln gezählt. 1994 war infolge der „Verbesserung“ der Gewässergüte keine mehr da!
- Zum Diagramm, Zitat:
„Dennoch lässt sich wohl der größere Teil — wenn nicht sogar der gesamte Rückgang — als «hausgemacht» erklären. Den Schlüssel dazu liefern ganz ähnliche, ja sogar im Ausmaß noch weit kräftiger ausgebildete Rückgänge bei den Großmuscheln. Und die wandern nicht irgendwohin, sondern sie leben dauerhaft für Jahre und Jahrzehnte in jenen Gewässern, aus denen auch die «Emergenz» von Zuckmücken, kleinen Eintagsfliegen und anderen Wasserinsekten hervorkommt. Abb. 8 zeigt diesen Rückgang der Großmuscheln im selben Gebiet der Stauseen am unteren Inn, in dem auch die starke Abnahme der Mauerseglerhäufigkeit festzustellen war. Die Kleinmuscheln gingen ebenfalls sehr stark zurück.
Fügt man nun auch noch die Abnahme der Häufigkeit der Zuckmückenlarven (Abb. 9) hinzu, die im Bodenschlamm dieser Stauseen leb(t)en, ergibt sich ein einheitliches Gesamtbild (Abb. 10).
Die Gleichsinnigkeit der Verläufe bei den drei so ganz unterschiedlichen Tiergruppen geht hieraus so deutlich hervor, dass sich ein gemeinsamer Grund geradezu aufdrängt. Er lässt sich aus der Lebensweise der Zuckmückenlarven und der Großmuscheln direkt ableiten und mit der Abnahme der Mauersegler verbinden. Beide, die Larven der Zuckmücken wie die Großmuscheln, leben von jenem schon benannten organischen Detritus, den Bakterien und Pilze zersetzen. Sie filtern oder strudeln ihn aus dem Wasser und den obersten Schichten des Bodenschlammes heraus. Vor allem das Bakterieneiweiß, das darin enthalten ist, stellt eine ergiebige Nahrungsgrundlage dar. Sie bildet gleichsam die Basis einer eigenen, sehr umfangreichen Nahrungskette. Erstnutzer dieses Detritus sind Zuckmückenlarven und Schlammröhrenwürmer, die in ähnlichen Mengen und Mengenverhältnissen wie die Zuckmückenlarven in solchen Gewässern vorkommen sowie die Muscheln. Wo es viel von dieser Detritus-Nahrung gibt, entwickeln sich große Bestände dieser «Schlammfauna» (Reichholf 1993). Mit bis zu 2,6 Kilogramm Frischgewicht pro Quadratmeter erreichten Ende der 1960er und Anfang der 1970erJahre die Zuckmückenlarven sogar ziemliche Rekordwerte. Noch erheblich größere Mengen hatte es am Ismaninger Speichersee gegeben.“ (Reichholf, J.H., Die Zukunft der Arten)
Zu dem Verhungern der Mauersegler und Großmuscheln kam es also durch Verschlechterung des Nahrungsangebotes infolge einer übermäßigen Abwasserreinigung.
Ein scheinbares Paradox: Ist doch gerade die Verschlechterung des Gewässerzustandes vom „Gewässerschutz“ ausdrücklich verboten!
Mitunter wird geglaubt, Muscheln brauchen klares Wasser. Das trifft aber nur auf wenige Muschelarten zu. Vielmehr ist korrekt, dass Muscheln – insbesondere Teichmuscheln – trübes Wasser reinigen. Sie filtrieren das Wasser. Für die Teichmuscheln im Dorfteich kann es eng werden, wenn Kleinkläranlagen, die bislang in den Teich entwässerten und nun wegen einer Emotion (abstrakter Grund einer Besorgnis), dass der Gewässerzustand schlechter werden könnte, dort nicht mehr einleiten dürfen. An solche Feinheiten darf eine Gewässerverwaltung nicht einmal denken. Derartige Abweichungen vom Gesetzestext hat der Gesetzgeber ihr bei Strafe verboten und insofern ist an dem negativen Effekt des Guten eine Wasserbehörde meist schuldlos. Es hat den Anschein, der Gesetzgeber traut seinen Unteren Wasserbehörden nicht über den Weg. Sicher sehr zu Unrecht, denn der Mensch wächst mit seinen Aufgaben.
Ursachen der Schieflagen sind abstrakte und weltfremde Vorstellungen von der Natur, die zu allem Unglück in Gesetze und Verordnungen zementiert wurden und die unter allen Umständen einzuhalten sowie zu beachten sind, auch wenn Populationsdichte und Biodiversität den Bach hinunter gehen. Helfen könnten zwar
- ein größerer Entscheidungs- und Verantwortungsspielraum der Unteren Wasserbehörden,
- mehr Naturwissenschaftlichkeit in den Verwaltungen, so dass man auch Verschlechterungen als Konsequenz des Guten rechtzeitig erahnen kann,
- Gestattung von Ausnahmen in begründeten Fällen sowie
- eine Reform des § 27 WHG,
dass aber auch nur ein Teil davon umgesetzt wird, halte ich für ausgeschlossen, weil es tatsächlich um etwas anderes geht.
Eine Ursache für die Verschlechterung des Gewässerzustandes (Rückgang der Populationsdichte und Biodiversität) ist der § 27 WHG.
Gewässerschutz und Paragraph 27: Bewirtschaftungsziele für oberirdische Gewässer (WHG – Wasserhaushaltsgesetz)
„(1) Oberirdische Gewässer sind, soweit sie nicht nach § 28 als künstlich oder erheblich verändert eingestuft werden, so zu bewirtschaften, dass
- eine Verschlechterung ihres ökologischen und ihres chemischen Zustands vermieden wird und
- ein guter ökologischer und ein guter chemischer Zustand erhalten oder erreicht werden.
(2) Oberirdische Gewässer, die nach § 28 als künstlich oder erheblich verändert eingestuft werden, sind so zu bewirtschaften, dass
- eine Verschlechterung ihres ökologischen Potenzials und ihres chemischen Zustands vermieden wird und
- ein gutes ökologisches Potenzial und ein guter chemischer Zustand erhalten oder erreicht werden.“
Schon der § 27 ist für den Gewässerschutz ein logisches Dilemma. Er ist in sich in hohem Maße widersprüchlich, wie folgende Aspekte beweisen mögen:
- Es gibt keine abstrakte Natur und kein abstraktes Gewässer.
- Es ist unmöglich etwas Abstraktes zu verbessern, zu verschlechtern oder zu schützen.
- Wasserwirtschaftliche Prinzipien (effiziente Nutzung des Wassers, Einhaltung des Sparsamkeitsprinzips,…) sind immer konkret!
- Ein Effizienzbeweis ist immer nur konkret zu führen.
- Wer abstrakt begründet, hat entweder keine Ahnung oder er verbirgt in raffinierter Weise seine tatsächlichen Ziele und Interessen.
- Ein ökologischer Zustand ist immer konkret orientiert, an einen konkreten Organismus oder an eine konkrete Lebensgemeinschaft gebunden. Der ökologische Zustand bzw. das ökologische Potential im § 27 aber ist abstrakt.
- Zwischen dem ökologischen und dem chemischen Zustand gibt es eine Naturgesetzlichkeit. So kann z. B. die Verbesserung der Nahrungsgrundlage und damit des ökologischen Zustandes – konkret der Teichmuschel – eine Verschlechterung des wasserchemischen Zustandes erfordern.
Mit Gewissheit steht damit fest: Der § 27 WHG kann beliebig interpretiert werden. Es handelt sich beim § 27 um einen unter wissenschaftlichen Ökologen seit langen bekannten Nonsens. Er wird von ihnen nur etwas charmanter, in einer Weise formuliert, so dass sich ein Unwissender nicht beleidigt fühlt:
„Wenn man den vorwissenschaftlichen Charakter des „Gleichgewichts der Natur“ und des Superorganismus-Konzepts eingesehen hat, gibt es kein wissenschaftliches Kriterium, die Gesundheit von Ökosystemen zu bewerten. Es gibt keinen innerhalb der Wissenschaft liegenden Grund, einen bestimmten historischen Zustand eines Ökosystems oder der gesamten Biosphäre als „Sollzustand“ festzusetzen.“ Lampert
Neben Lampert könnten noch weitere Ökologen genannt werden, z. B. Steinberg.
Am Ende kommt es im Streitfall auf den Richter an, ob dieser eher abstrakten oder konkreten Argumenten zugeneigt ist.
Rumm, u. a. notieren zurecht im Handbuch der EU-Wasserrahmenrichtlinie, 2. Auflage, Erich Schmidt Verlag, Berlin 2006:
Maßnahmen müssen zielführend und eben kosteneffizient sein…
allerdings zeigt sich der § 27 für den Gewässerschutz davon völlig unbeeindruckt.
Und schließlich zusammenfassend:
Die Verbesserung der chemischen Gewässergüte zur abstrakten Umsetzung des Verschlechterungsverbotes, ist oft auch Ursache der Verschlechterung der Lebensbedingungen für bestimmte Lebewesen in konkreten Ökosystemen.
Dem abstrakten Verschlechterungsverbot entspringt das Gebot abstraktes Gutes zu tun und das abstrakte Gute führt in Ökosystemen in der Konsequenz häufig zu konkreten Verschlechterungen. Im Streit über die Bewertung der Realität wird am Ende nicht dem gefolgt, der wissenschaftlich gesehen die Sachlage korrekt bewertet, sondern entscheidend ist – sofern der Streit nicht vor Gericht ausgetragen wird – häufig die Meinung meist einer einzigen Deutungshoheit in einer Verwaltung zur Auslegung abstrakter Regelungen und Dogmen.
Die Akzeptanz des Ergebnisses einer sachlichen, wissenschaftlichen Bewertung, wenn sie im Widerspruch zu den wirtschaftlichen und damit politischen Vorstellungen über die Natur steht, ist eher ein Ausnahmefall.
(Beitrag vom März 2013, überarbeitet im Januar 2017)[/fusion_builder_column][/fusion_builder_row][/fusion_builder_container]
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