Der Bergsee Ratscher und dessen Phosphor

Gutachten: Geplante zusätzliche P-Eliminierungen aus dem Ablauf kommunaler und privater Kläranlagen im Einzugsgebiet des Hochwasserrückhaltebeckens und zugleich Badegewässers „Bergsee Ratscher“

Baden im Phosphor? Im Bergsee Ratscher kein Problem!

18. März 2014

(Presse: Gegengutachten vorgestellt!)

Ziel und Methode:                         Plausibilitätsprüfung der Effizienz nach Artikel 5 der Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2000

Auftraggeber:                                  Wasser- und Abwasser-Verband Hildburghausen

Werkleiter:                                      Herr Feigenspan

Bearbeiter:                                      Uwe Halbach & Institut für Wasserwirtschaft Halbach, darunter Dr.-Ingenieur Jens Friedemann,  
                                                          Diplom-Chemiker Uwe Eichhorn und
                                                         Diplom-Wirtschaftsingenieur (FH)  Andreas Behlke

Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse des Teil 1 des Gutachtens:

  • Der Phosphoreintrag in das HRB Ratscher im langjährigen Mittel beträgt wahrscheinlich 4.101 kg Pges. /a bzw. 11,2 kg Pges./d. Der Anteil aus bewohnten Gebieten (Siedlungen) liegt bei 2.730 kg P/a bzw. 67 %. Demnach sind 33 % der Phosphorfrachten in das HRB Ratscher durch abwasserentsorgungspflichtige Körperschaften nicht beeinflussbar. 23 % der Fracht wird durch Pflanzen- und Tierproduktion verursacht. (Zu beachten wäre, dass es nur 200 Tage im Jahr gefüllt ist.)
  • Der jeweilige saisonale Phosphoreintrag ist auch von der Intensität der Niederschläge abhängig und damit sehr wahrscheinlich wetterbedingt, also unberechenbar.
  • Eine weitere Senkung der Phosphorfracht ist mit dem wahrscheinlichen Bevölkerungsrückgang und der weiteren Umsetzung des ABKs zu erwarten.
  • Der im Winter freiliegende und im Sommer geflutete Grund hat nach 30 Jahren Nutzungsdauer des HRB Ratscher einen limnologischen Zustand, der dem einer Trinkwassertalsperre entspricht, nämlich oligotroph. Die Gewässergüte in der Freiwasserzone kann allerdings zufälligerweise schwanken und liegt eher im mesotrophen Bereich, aber ohne dessen negative reguläre Folgen.
  • Für weitere Betrachtungen wäre der Zustand des immer gefluteten Benthos interessant.
  • Eine limnologische Bewertung des HRB Ratscher – wenn ihr Ergebnis methodisch sauber sein soll – erforderte eine aufwändige langjährige Einzelfalluntersuchung unter Berücksichtigung der Besonderheiten, wobei die Möglichkeit besteht, dass man am Ende auch nicht mehr weiß als momentan: Ein Einzelfall mit guter Badegewässerqualität.
Ratscher

Ratscher im Winter

Ausgewählte Auszüge

Das Benthal – Der Raum am Grund des Sees

Das HRB Ratscher unterscheidet sich von anderen Seen durch folgende Besonderheiten:

  • jährliche Entleerung und damit erheblicher Nährstoffaustrag
  • keine P-Mobilisierung aus dem Sediment im Frühjahr (der See bildet sich gerade)
  • keine Frühjahrszirkulation (der See bildet sich gerade)
  • keine Herbstzirkulation (der See wird entleert)
  • keine Winterstagnation (der See ist quasi nicht mehr da)

Aus dieser Bewirtschaftungsweise – der Badesee wird im Herbst abgelassen – folgt die Besonderheit, dass das HRB Ratscher sich insbesondere beim Phosphorkreislauf von üblichen Seen erheblich unterscheidet und sich deshalb regulären Bewertungsmethoden entzieht.

Eine Übertragung von Beobachtungen vermeintlicher Referenzseeen oder -talsperren auf momentane oder künftige Zustände im HRB Ratscher ist also nur in geprüften Einzelfällen zulässig.

Die Unterseite des Steins vom Benthal. Es ist aerob – kein Faulschlamm, kein Indiz von FeS!

Gesamtphosphorzulauffrachten und Abflussmengen

Werden die Gesamtphosphorzulauffrachten als vom Zufluss abhängige Variablen in Diagramm 3 dargestellt, so erscheint ein Zusammenhang plausibel.

Ratscher

Diagramm: Gesamtphosphorzulauffrachten und Zufluss in das HRB Ratscher – Daten des TLUG (Die markierten Punkte dürften Ausreißer sein.)

Da die Gesamtphosphorfrachten im Ablauf von Kläranlagen konstant sind, müssen die Schwankungen bei den Gesamtphosphorzulauffrachten andere Ursachen haben.

Ähnliche Beobachtungen liegen auch für den Strengbach (Sachsen-Anhalt) im Flachland vor. (HALBACH, U.: Plausibilitätsprüfung der geplanten Verschärfung von Überwachungswerten der Kläranlage Zörbig, Gutachten 04.04.2011 und Verifizierung 24.01.2014)

Wahrscheinliche Ursachen der Schwankungen sind

  • nicht pflanzenverfügbare Phosphate, die erosionsbedingt insbesondere bei Starkregen in die Vorfluter gelangen,
  • pflanzenverfügbare Phosphate, die ihre Quelle in der Düngung, landwirtschaftliche Nutzung der Gülle und Gärresten aus der Biogasanlage haben und ebenfalls bei Starkregen ausgeschwemmt werden.

Diese Effekte sind bekannt.

Die Dynamik der Pges.-Frachtbelastung des HRB Ratscher wird offensichtlich wesentlich durch das Wetter und konkret durch die Niederschlagsintensität geprägt und nicht  durch die konstanten kommunalen Frachten.

Frachten aus Tierproduktion und Landwirtschaft sind zu berücksichtigen

Für den Fall, dass das Szenario der Reduzierung der Phosphorfracht im Einzugsgebiet des HRB Ratscher tatsächlich umgesetzt wird, wäre auch das Diskriminierungsverbot lt. Mitteilung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften [14] zu beachten. Danach sind vergleichbare Sachverhalte auch gleich zu behandeln und zu bewerten. (Siehe Abbildung 1).

Das würde konkret bedeuten:

Neben der P-Frachtreduzierung in gereinigtem Abwasser privater und kommunaler Kläranlagen ist es notwendig im korrekten Verhältnis ebenso die Frachten der Landwirtschaft und Tierproduktion in erheblichem Umfang zu reduzieren.

Das man das nicht durchsetzen kann, ist klar. Insofern ist auch die P-Frachtreduzierung in gereinigtem Abwasser privater und kommunaler Kläranlagen nicht zu vermitteln.

Auch wenn Gülle wasserrechtlich gewertet kein Abwasser ist, so ist es aber wasserwirtschaftlich und in seiner limnologischen Wirkung auf jeden Fall Abwasser.

Offenkundig sein sollte bzw. Tatsache ist, dass z. B. die Sachverhalte

  1. Grundwasserverschmutzung durch die Landwirtschaft hinsichtlich Nitrat- oder Phosphoremission und
  2. Grundwasserverschmutzung oder Gewässerbeeinträchtigung durch die Versickerung oder Einleitung von gereinigtem Abwasser hinsichtlich Nitrat- oder Phosphor-emission

völlig identisch sind. Für die Algen ist es völlig unbedeutend, ob sie Phosphor assimilieren, mit dem gedüngt wurde, der vorher von der Kuh gefressen oder von einem Menschen verspeist wurde. Solcher Phosphor bleibt in seiner Wirkung Phosphor.

Diskriminierungverbot bei der Bewertung von Sachverhalten als unbekannte Regel? 

Abbildung 1: Aspekte des Diskriminierungsverbotes nach [Leitlinien zur Anwendbarkeit des Vorsorgeprinzips in „Die Anwendbarkeit des Vorsorgeprinzips“,Mitteilung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Brüssel, den 02.02.2000, KOM (2000) 1 endgültig]

(Kommentar 06.08.2020: Es ist erstaunlich zu beobachten, wie regelmäßig und folgenschwer gegen diese Leitlinie der Kommission der Europäischen Gemeinschaften bzw. gegen diese Abbildung 1 verstoßen wird und wie Gewässer eher in einfältiger Weise bewertet werden. Das beginnt mit der Definition von abstrakten Zielen und Zuständen. Die gleiche Behandlung gleicher Sachverhalte ist eine fachliche Herausforderung, der sich leider nur Wenige stellen. U. Halbach)

Als eine von vielen anderen Beweismöglichkeiten identischer Sachverhalte mag das EU-WRRL-Prinzip der ganzheitlichen Bewertung dienen, nach dem es unzulässig ist, Frachten aus der Landwirtschaft zu ignorieren. Vergleiche Tabelle 1 vom UBA in DWA [Diffuse Stoffeinträge in Gewässer, Landwirtschaft, DWA ].

Damit ist es notwendig, den Tierbestand im EZG und die Landwirtschaft im gleichen Maße zu reduzieren, wie die Phosphorreduzierung bei privaten und kommunalen Kläranlagen umgesetzt wird. Es sei denn, es liegen dafür nachvollziehbare objektive Gründe vor. Siehe Abbildung 2.

Bei den Frachten aus der Landwirtschaft und der Tierproduktion handelt es sich keineswegs um vernachlässigbare Größenordnungen.

Für das EZG des HRB Ratscher sind es nach Tabelle 4 immerhin 955 kg Pges./a also über 20 %, wobei dieser Anteil zu 100 % pflanzenverfügbar sein sollte.

Einer Recherche von BEHLKE (Anlage 8) zufolge, beträgt die kalkulatorische Fracht landwirtschaftlicher Abwässer im EZG des HRB Ratscher 3,5 t Pges./a, die sicher pflanzenverfügbar vorliegen.

Allerdings wird keinesfalls diese Größenordnung tatsächlich im HRB Ratscher ankommen. Nach Tabelle 4 würden kalkulatorisch 27 % der Phosphorfracht im Einzugsgebiet des HRB Ratscher aus Tierhaltung bei entsprechenden Niederschlägen dem HRB Ratscher zufließen. Das sind aber nur Vermutungen und Abwägungen.

 

Gülleausbringung mit anschließender Unterpflügung (Diese Belastungen werden bei der Festlegung von verschärften wasserwirtschaftlichen Auflagen für Kommunen nur äußerst selten berücksichtigt.)

Wie hoch der Anteil der Reduzierung der Tierproduktion und Landwirtschaft im EZG des HRB Ratscher im Falle der tatsächlichen Beachtung sein muss, wäre gesondert zu ermitteln. Auf jeden Fall wären aber bei Umsetzung einer Gleichbehandlung erhebliche Reduzierungen nötig.

Zur Veranschaulichung der Konsequenzen der Bewertung landwirtschaftlicher Abwässer mag ein Fallbeispiel aus dem Flachland gelten HALBACH [Halbach, U.: Plausibilitätsprüfung der geplanten Verschärfung von Überwachungswerten der Kläranlage Nordgermersleben, Gutachten Juli 2007 ]. Dort ist es zur Gewährleistung der wasserchemischen Gewässergüteklasse II – gemessen am Phosphor – wahrscheinlich notwendig:

  • die Ackerfläche der industriellen Landwirtschaft auf ein Fünfhundertstel (23 ha) zu reduzieren,
  • die landwirtschaftlich genutzte Wiesenfläche auf 50 % zu reduzieren und
  • außerdem die betroffene Kläranlage stillzulegen, d. h. das Abwasser in ein anderes Einzugsgebiet zu fördern.

Das wird natürlich niemand umsetzen können, wäre aber die Konsequenz für die Gewährleistung wasserchemischer Gewässergüteklasse II. Der Flächenanteil der Landwirtschaft betrug hier allerdings nicht 20 %, sondern 90 %. An diesem Beispiel erkennt man, dass es mitunter ratsam ist, wasserwirtschaftliche Ziele, die über die Mindestanforderungen hinausgehen, erst dann zu definieren, wenn alle Konsequenzen bekannt sind.

Grund (Benthal) des HRB Ratscher nach 30 Jahren! Wo ist der Algenschlamm, grün oder schwarz?

Der beste Gewässerschutz für das HRB Ratscher scheint sehr wahrscheinlich in dessen hervorragender Bewirtschaftung durch die Thüringer Fernwasserversorgung in Erfurt zu liegen. Wesentlich dafür ist wohl das regelmäßige Ablassen im zeitigen Herbst.

Gewässerzustandsziele können und dürfen lt. EU-WRRL auch mit anderen (Ablassen des Rückhaltebeckens), als mit technischen Lösungen (Phosphorreduktion) erreicht werden. RUMM [Rumm, u. a.: Handbuch der EU-Wasserrahmenrichtlinie, 2. Auflage, Erich Schmidt Verlag, Berlin 2006] notiert dazu:

Der Ansatz der kosteneffizientesten Maßnahmenkombinationen (Anhang III) stellt die systematische Abkehr von der Bevorzugung technischer Lösungen dar. Danach sind zunächst alle Maßnahmetypen gleichwertig, seien sie technischer, institutsioneller, rechtlicher, ökonomischer oder sozialer Art. Maßnahmen müssen zielführend und eben kosteneffizient sein….

… dass Maßnahmen aller Art in Frage kommen, solange sie zielführend sind.“

Die geplante P-Reduzierung im Einzugsgebiet ist für die Badewasserqualität im HRB Ratscher, den vorliegenden Indizien nach zu urteilen, sehr wahrscheinlich unnötig und nutzlos.

Nutzwertanalyse

Es wurden für die Varianten folgende Nutzwerte kalkuliert:

  1. P-Frachten im Ablauf kommunaler Kläranlagen – Mindestanforderungen
    591 Nutzwerte
  2. P-Frachten im Ablauf kommunaler Kläranlagen – P-Fällung
    377 Nutzwerte
  3. P-Frachten im Ablauf kommunaler Kläranlagen – P-Flockungsfiltration
    257 Nutzwerte

Die graphische Darstellung der Ergebnisse ist folgenden Diagramm zu entnehmen:

Ergebnisse der Nutzwertanalyse als Entscheidungsspinne

Damit sind die Mindestanforderungen im Ablauf kommunaler Kläranlagen am nützlichsten.

Effizienzbewertung als Ergebniss einer Nutzwert-Kosten-Betrachtung

Effizient ist mit Abstand die Variante 1, bei der die Pges.-Frachten im Ablauf privater und kommunaler Kläranlagen den Mindestanforderungen der Abwasserverordnung entsprechen.

Bei der Umsetzung ist es sicher hilfreich, den Spielraum der EU-WRRL zum Nutzen für die Gebühren- und Steuerzahler zu finden und zu erschließen. Dazu stellt VORREYER [Vorreyer, Christian: Erläuterungen zur Wasserrahmenrichtlinie (2000/60/EG), durchgesehen und ergänzt von Friedrich Schröder, Stand: Juni 2007] fest:

„Die Wasserrahmenrichtlinie soll den Rahmen für eine einheitliche Gewässerschutzpolitik in der Europäischen Union darstellen. Dieser Rahmen ist zum Teil höchst detailliert, wie z.B. in den fachlichen Anforderungen der Anhänge II und V RL 2000/60/EG vorgegeben. Dadurch entsteht der irreführende Eindruck, dass die Richtlinie für die Mitgliedstaaten wenig Spielraum für Abweichungen bzw. eine eigene Gewässerschutzpolitik bietet. Bei genauerem Hinsehen stellt man jedoch fest, dass bei der Verabschiedung der Richtlinie in vielen Punkten Kompromisse gemacht werden mussten. So bestehen in erheblichem Maße Auslegungsprobleme; infolge der zahlreichen in der Richtlinie vorgesehenen Ausnahmemöglichkeiten gibt es viele Möglichkeiten, den gemeinsamen Rahmen zu umgehen, sodass zurzeit kaum etwas darüber ausgesagt werden kann, ob der Rahmen für eine wirklich harmonisierte, wettbewerbsvereinheitlichende Gewässerschutzpolitik ausreicht.“

Presse

Siehe pdf-Datei: 2014 Gutachten für Hildburghausen

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